Die Medikamente Substitol® und Compensan®

Substitol® und Compensan® sind verschreibungspflichtige Medikamente, die spezifisch in der Opioid-Substitutionstherapie (OST) in Österreich (Substitol® zunehmend auch in Deutschland) abgegeben werden. Im Folgenden werden die beiden Medikamente hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Wirkungsweise und Unterschiede beschrieben.

I. Gemeinsame Basis: Retardiertes Morphin in der Substitutionstherapie

Sowohl Substitol® als auch Compensan® retard basieren auf dem aktiven Wirkstoff Morphin, einem starken Opioid-Agonisten, der ursprünglich aus dem Schlafmohn gewonnen wird. Ihre Schlüsselqualifikation für die Substitutionstherapie liegt in ihrer Retard-Formulierung (verzögerte Freisetzung wenn korrekt oral eingenommen).

1. Der Wirkmechanismus (Pharmakologie)

Beide Präparate teilen den identischen pharmakologischen Wirkmechanismus:

  • Rezeptor-Agonismus: Das Morphin wirkt als voller Agonist mit hoher Affinität an den μ-Opioid-Rezeptoren im zentralen Nervensystem (ZNS).
  • Wirkung auf Entzug: Durch die stetige Aktivierung dieser Rezeptoren wird das Entzugssyndrom (körperliche und psychische Symptome beim Fehlen von Opioiden) effektiv verhindert.
  • Craving-Kontrolle: Gleichzeitig wird das intensive Verlangen (Craving) nach illegalen Opioiden reduziert, was die Stabilisierung des Patienten fördern kann.
  • Vorteil der Retardierung: Die verzögerte Freisetzung verhindert einen schnellen Anstieg der Morphin-Konzentration im Blut, der zu einem euphorisierenden Rausch führen würde. Dies trägt zur therapeutischen Stabilität bei und erlaubt eine einmal tägliche Einnahme über eine Wirkdauer von bis zu 24 Stunden.

2. Pharmakokinetische Merkmale

Morphin, unabhängig von der Salzform, weist eine geringe Bioverfügbarkeit von etwa 20-40% bei oraler Einnahme auf, bedingt durch einen ausgeprägten First-Pass-Effekt in Leber und Darm.

  • Metabolisierung: Morphin wird hauptsächlich über die Glucuronidierung metabolisiert. Die Hauptmetaboliten sind Morphin-3-Glucuronid (inaktiv) und Morphin-6-Glucuronid (aktiv und potenter als Morphin selbst).
  • Geringe Interaktion: Da die Metabolisierung nur unwesentlich über das Cytochrom P450-System (CYP 450) erfolgt, ist das Risiko für arzneimittel-spezifische Wechselwirkungen im Vergleich zu Methadon oder Buprenorphin geringer.

II. Substitol® (Wirkstoff Morphinsulfat retardiert)

Substitol® ist das traditionell bekanntere und in Österreich und Deutschland zugelassene Morphin-Präparat für die OST, hergestellt von Mundipharma GmbH.

1. Chemische Form und Darreichung

  • Wirkstoff-Salz: Morphinsulfat-Pentahydrat. Das Sulfat-Salz ist gut wasserlöslich und wird häufig für Arzneimittel verwendet.
  • Darreichungsform: Hartkapsel mit Retard-Pellets. Die Kapsel enthält viele kleine Kügelchen (Pellets), die jeweils mit einer wachsartigen Retardmatrix umhüllt sind. Der Hersteller bietet die Option, die Kapsel zu öffnen und die Pellets mit Wasser oder auf kalter, weicher Nahrung einzunehmen, solange die Pellets unzerkaut geschluckt werden. Das Zerkauen würde die Retardwirkung aufheben.
  • Dosierungen: Verfügbar in mehreren Stärken, gängig sind 30 mg, 60 mg, 100 mg und Substitol 200 mg.

2. Besonderheiten und Risiken

  • Historische Dominanz: Besonders in Österreich hat Substitol® historisch eine sehr hohe Verschreibungsrate in der OST erfahren.
  • Alternativen als Mittel der ersten Wahl: Offizielle Empfehlungen sehen in der Regel Methadon (Methasan®), Levomethadon (Levomethasan®) und Buprenorphin (Subutex® oder Suboxone®) als Mittel der ersten Wahl vor. Retardiertes Morphin (wie Substitol® oder Compensan®) sollte primär bei Unverträglichkeit der anderen Mittel eingesetzt werden (Quelle: Sucht- und Drogenkoordination Wien, 2019/2021). Trotzdem wird ein Grossteil der Substitutionspatienten in Österreich ausschliesslich mit Substitol® versorgt.
  • Missbrauchsrisiko: Trotz der Retardierung ist das Missbrauchsrisiko hoch. Durch Zerkleinern der Pellets kann der Wirkstoff freigesetzt und intravenös injiziert werden. Dies ist extrem gefährlich, da die enthaltenen Hilfsstoffe (z. B. Wachs) schwere Komplikationen wie systemische Reaktionen, Thromboembolien bis hin zu Lungenembolien, Sepsis und Endokarditis verursachen können.

III. Compensan® retard

Compensan® retard ist das Morphinpräparat, das primär in Österreich zugelassen ist und dort von GL Pharma vertrieben wird. Es hat in Deutschland vor allem bei Lieferengpässen von Substitol® eine Rolle gespielt.

1. Chemische Form und Darreichung

  • Wirkstoff Morphinhydrochlorid: Dieses Salz ist ebenfalls sehr gut wasserlöslich.
  • Darreichungsform: Filmtablette. Hier erfolgt die Retardierung in der Regel über eine sogenannte Matrix-Tablette, bei der der Wirkstoff in eine Hüllmasse eingebettet ist, die sich im Verdauungstrakt langsam auflöst und das Morphin freigibt.
  • Dosierungen: Compensan® retard ist in Stärken wie 100 mg, 200 mg und 300 mg Retardtabletten verfügbar.

2. Stellung und Substitution

  • Alternative: Compensan® wird oft als direktes Äquivalent zu Substitol® betrachtet.
  • Import bei Engpässen: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland befürwortete den Import von Compensan® aus Österreich, um Engpässe von Substitol® in der Patientenversorgung zu überbrücken, was die funktionelle Austauschbarkeit der Präparate unterstreicht.

IV. Fazit: Substitol® vs. Compensan®

Die Unterschiede zwischen Substitol® und Compensan® retard sind primär pharmazeutisch und regulatorisch, nicht klinisch relevant:

Kriterium

Substitol®

Compensan® retard

Wirkstoff-Salz

Sulfat (Morphinsulfat)

Hydrochlorid (Morphinhydrochlorid)

Form

Hartkapsel (Pellets)

Filmtablette (Matrix)

Hersteller

Mundipharma

GL Pharma

Klinische Wirksamkeit

Identisch (retardiertes Morphin)

Identisch (retardiertes Morphin)

Beide Medikamente sind wichtige, aber auch kritisch beäugte Mittel in der OST, deren Wirksamkeit stark von der Einhaltung der Retardierung und der begleitenden psychosozialen Betreuung abhängt. Die Wahl zwischen den beiden erfolgt meist auf Basis der regionalen Verfügbarkeit, der Zulassungssituation oder der Präferenz des behandelnden Arztes.


Nebenwirkungen und Sicherheitsrisiken von retardiertem Morphin (Substitol® / Compensan®)

Die Nebenwirkungen von retardiertem Morphin in der Substitutionstherapie lassen sich in drei Kategorien einteilen: häufige Opioid-Wirkungen, seltene, aber schwere Komplikationen und Risiken durch Missbrauch.

1. Häufige Opioid-Nebenwirkungen

Diese Nebenwirkungen sind typisch für alle Opioide und oft dosisabhängig. Sie betreffen vor allem den Magen-Darm-Trakt und das ZNS.

Körpersystem

Häufige Nebenwirkung

Management

Gastrointestinal

Obstipation (Verstopfung): Die häufigste und oft hartnäckigste Nebenwirkung, da Morphin die Darmmotilität stark reduziert.

Prophylaxe (Ballaststoffe, Flüssigkeit) und Laxanzien (z.B. Macrogol, Natriumpicosulfat).

Zentrales Nervensystem

Sedierung/Müdigkeit: Besonders zu Beginn der Therapie oder nach Dosissteigerung.

Anpassung der Dosierung; vergeht oft nach einer Eingewöhnungszeit.

Zentrales Nervensystem

Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen.

Vorsicht bei der Teilnahme am Strassenverkehr und beim Bedienen von Maschinen.

Endokrinologie

Opioid-induzierter Hypogonadismus: Kann langfristig zu Libidoverlust, erektiler Dysfunktion und Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung) führen.

Hormonstatus-Kontrolle und ggf. Substitutionstherapie.

Andere

Nausea (Übelkeit) und Erbrechen: Tritt vor allem zu Beginn der Therapie auf.

Gabe von Antiemetika (Mittel gegen Übelkeit).

2. Seltene und schwere Komplikationen

  • Atemdepression: Bei Überdosierung oder in Kombination mit anderen zentral dämpfenden Substanzen (z.B. Alkohol, Benzodiazepine) kann Morphin eine lebensbedrohliche Atemdepression (stark verlangsamte und flache Atmung) auslösen.
  • Allergische Reaktionen: Selten, aber möglich.
  • Muskelsteifigkeit: Insbesondere im Brustkorb (Thoraxrigidität), die die Atmung erschweren kann.

3. Sicherheitsprobleme und Risiken durch Missbrauch

Dies ist das gravierendste Sicherheitsproblem bei retardiertem Morphin in der Substitutionstherapie:

Risiko

Beschreibung

Folge

Aufhebung der Retardierung

Durch Zerkleinern, Zermörsern oder Auflösen wird die Schutzschicht zerstört und die gesamte Wirkstoffdosis wird sofort freigesetzt.

Akute, lebensbedrohliche Überdosierung und Atemdepression.

Intravenöse Injektion

Der so freigesetzte Wirkstoff wird oft missbräuchlich intravenös injiziert, häufig zusammen mit den Hilfsstoffen (Wachs, Polymere).

Lokale und systemische Gefässschäden, Thromboembolien, Lungenembolien, Infektionen (z.B. Endokarditis) und Abzesse.

Kombination mit Sedativa

Die gleichzeitige Einnahme von Benzodiazepinen (Beruhigungsmittel) und Alkohol potenziert die atemdepressive Wirkung von Morphin erheblich.

Stark erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Atemdepression und Tod.

Diversion (Weitergabe)

Die Verschreibung grosser Take-Home-Mengen erhöht das Risiko, dass das Medikament auf dem Schwarzmarkt landet und dort zu neuen Abhängigkeiten oder Überdosierungen bei Dritten führt.

Gesellschaftliches und strafrechtliches Risiko.

Fragen und Antworten zur Substitol®-Abhängigkeit

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